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Aktuell 2022/12

Grundsatzurteil des BGH zum Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Verkehr

Der VII. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 06.10.2022 entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr grundsätzlich in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht.1 Im vorliegenden Beitrag wird zunächst das (1) Urteil des BGH vorgestellt, um anschließend dessen (2) Relevanz für die Baupraxis zu untersuchen. Am Ende weisen wir auf drei wichtige (3) Einschränkungen hin.

(1) Urteil des BGH
Der BGH urteilt zum Zugang einer E-Mail:

„Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.2


Der BGH weiter:

„Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können.“ 3

(2) Relevanz für die Baupraxis
Vor diesem Urteil war umstritten, wann eine E-Mail zugegangen ist. Daraus resultierte in der Praxis eine Rechtsunsicherheit: Kam es bspw. in einem gerichtlichen Prozess ganz entscheidend darauf an, ob der Besteller dem Werkunternehmer eine Frist gesetzt hat, konnten sich bei reinem E-Mail-Verkehr beweisrechtliche Schwierigkeiten ergeben. Deshalb wurde gebetsmühlenartig wiederholt: Auf E-Mail-Verkehr zumindest in wichtigen Angelegenheiten, etwa Fristsetzungen oder Mängelrügen, verzichten und sich stattdessen Brief und/oder Fax bedienen!

Das Urteil des BGH hat nun zur Folge:

Absender: Das Urteil bietet Rechtssicherheit bzgl. des Zugangs einer E-Mail im unternehmerischen Verkehr, sodass E-Mails im unternehmerischen Verkehr rechtssicher an die Gegenseite versandt werden können. Es muss nicht mehr zwingend auf Brief und Fax zurückgegriffen werden.


Empfänger: Diese Rechtssicherheit zugunsten des Absenders geht zulasten des Empfängers. Firmen müssen ihre E-Mail-Accounts noch sorgfältiger überwachen, um nicht E-Mails, die beispielsweise Fristen enthalten, zu übersehen. Um den BGH im vorliegenden Urteil zu zitieren: „Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.“4 Gramespacher titelt daher treffend: „Aus großer Macht wächst große Verantwortung!“5 Vor diesem Hintergrund sind geschäftstägliche Überprüfungen der elektronischen Postfächer mitsamt Spam-Ordner empfehlenswert.6 Die bestehende Praxis betreffend E-Mail-Verkehr (bspw. Einsatz von Filtern) sollte firmenintern auf einen Prüfstand gestellt werden.

(3) Einschränkung
Zu beachten ist zunächst zweierlei:

  • Zum einen bezieht sich das Urteil lediglich auf den unternehmerischen Verkehr. Das heißt, dass Kommunikation mit einem Verbraucher davon nicht betroffen ist. Rechtssicherheit besteht mit diesem Urteil nur für den unternehmerischen Verkehr. Somit muss in der Kommunikation mit Verbrauchern bei wichtigen Angelegenheiten weiterhin auf Brief und/oder Fax zurückgegriffen werden.
  • Eine weitere Einschränkung gilt dahingehend, dass sich der BGH sich auf Mailserver bezieht, die der Unternehmer „durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr“ ausdrücklich genannt hat. Es bedarf somit einer Widmung seitens des Empfängers.7 Ab wann eine solche vorliegt, ist noch ungeklärt. Klassische Beispiele sind die Angabe der E-Mail-Adresse auf einer Visitenkarte, im Briefkopf, auf der Homepage oder in der Werbung.8

Für Sie am wichtigsten ist folgende Einschränkung:

  • Das Urteil betrifft lediglich den Zugang einer E-Mail. Davon zu trennen ist die Frage, ob nach der konkreten Norm überhaut E-Mail ausreichend ist oder es nicht einer strengeren Form - etwa der Schriftform - bedarf. Bspw. die Mängelrüge des § 13 V Nr. 1 S. 1 VOB/B bedarf der Schriftform. In der Rechtsprechung ist umstritten, ob eine einfache E-Mail deren Schriftformerfordernis erfüllt.9 Aus diesem Grund muss, solange diese Frage nicht abschließend geklärt ist, die Mängelrüge des § 13 V Nr. 1 S. 1 VOB/B weiterhin klassisch versandt werden! Selbiges gilt bspw. für die Auftraggeberkündigung des § 9 II 1 VOB/B im Falle einer Vergabe an einen Subunternehmer.10 Es muss daher beachtet werden, ob E-Mail überhaupt das Formerfordernis der konkreten Norm erfüllt! Betreffend Schriftform in der VOB/B besteht in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Uneinigkeit.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Urteil ist zwar begrüßenswert, dessen praktische Auswirkungen dürfen jedoch nicht unterschätzt werden. Die firmeninterne Handhabung von E-Mail-Verkehr sollte deshalb auf den Prüfstand gestellt werden! Zum anderen darf das Urteil nicht dazu führen, dass künftige jegliche Kommunikation mittels E-Mails erfolgt und etwaige Formvorschriften, etwa § 13 V Nr. 1 S. 1 VOB/B, nicht gewahrt werden. Aus diesen Gründen sollte jede im Baubereich tätige Firma dieses Grundsatzurteil kennen.



1BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724.
2BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724 Rn. 19.
3BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724 Rn. 20.
4BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724 Rn. 19.
5Gramespacher, BB 2022, 2639 (2639).
6Gramespacher, BB 2022, 2639 (2639).
7Gramespacher, BB 2022, 2639 (2639).
8Spindler/Schuster/Spindler, Zweiter Teil, § 130 BGB Rn. 5.
9Siehe hierzu: BeckOK/VOB/B/Koenen, § 13 V VOB/B Rn. 31.
10Siehe hierzu: Kapellmann/Messerschmidt/von Rintelen, § 9 VOB/B Rn. 73.

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