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Grundsatzurteil des BGH zum Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Verkehr
Der VII. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 06.10.2022 entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr grundsätzlich in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht.1 Im vorliegenden Beitrag wird zunächst das (1) Urteil des BGH vorgestellt, um anschließend dessen (2) Relevanz für die Baupraxis zu untersuchen. Am Ende weisen wir auf drei wichtige (3) Einschränkungen hin.
(1) Urteil des BGH
Der BGH urteilt zum Zugang einer E-Mail:
„Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.2
Der BGH weiter:
„Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können.“ 3
(2) Relevanz für die Baupraxis
Vor diesem Urteil war umstritten, wann eine E-Mail zugegangen ist. Daraus resultierte in der Praxis eine Rechtsunsicherheit: Kam es bspw. in einem gerichtlichen Prozess ganz entscheidend darauf an, ob der Besteller dem Werkunternehmer eine Frist gesetzt hat, konnten sich bei reinem E-Mail-Verkehr beweisrechtliche Schwierigkeiten ergeben. Deshalb wurde gebetsmühlenartig wiederholt: Auf E-Mail-Verkehr zumindest in wichtigen Angelegenheiten, etwa Fristsetzungen oder Mängelrügen, verzichten und sich stattdessen Brief und/oder Fax bedienen!
Das Urteil des BGH hat nun zur Folge:
Absender: Das Urteil bietet Rechtssicherheit bzgl. des Zugangs einer E-Mail im unternehmerischen Verkehr, sodass E-Mails im unternehmerischen Verkehr rechtssicher an die Gegenseite versandt werden können. Es muss nicht mehr zwingend auf Brief und Fax zurückgegriffen werden.
Empfänger: Diese Rechtssicherheit zugunsten des Absenders geht zulasten des Empfängers. Firmen müssen ihre E-Mail-Accounts noch sorgfältiger überwachen, um nicht E-Mails, die beispielsweise Fristen enthalten, zu übersehen. Um den BGH im vorliegenden Urteil zu zitieren: „Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.“4 Gramespacher titelt daher treffend: „Aus großer Macht wächst große Verantwortung!“5 Vor diesem Hintergrund sind geschäftstägliche Überprüfungen der elektronischen Postfächer mitsamt Spam-Ordner empfehlenswert.6 Die bestehende Praxis betreffend E-Mail-Verkehr (bspw. Einsatz von Filtern) sollte firmenintern auf einen Prüfstand gestellt werden.
(3) Einschränkung
Zu beachten ist zunächst zweierlei:
Für Sie am wichtigsten ist folgende Einschränkung:
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Urteil ist zwar begrüßenswert, dessen praktische Auswirkungen dürfen jedoch nicht unterschätzt werden. Die firmeninterne Handhabung von E-Mail-Verkehr sollte deshalb auf den Prüfstand gestellt werden! Zum anderen darf das Urteil nicht dazu führen, dass künftige jegliche Kommunikation mittels E-Mails erfolgt und etwaige Formvorschriften, etwa § 13 V Nr. 1 S. 1 VOB/B, nicht gewahrt werden. Aus diesen Gründen sollte jede im Baubereich tätige Firma dieses Grundsatzurteil kennen.
1BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724.
2BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724 Rn. 19.
3BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724 Rn. 20.
4BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21 = BeckRS 2022, 29724 Rn. 19.
5Gramespacher, BB 2022, 2639 (2639).
6Gramespacher, BB 2022, 2639 (2639).
7Gramespacher, BB 2022, 2639 (2639).
8Spindler/Schuster/Spindler, Zweiter Teil, § 130 BGB Rn. 5.
9Siehe hierzu: BeckOK/VOB/B/Koenen, § 13 V VOB/B Rn. 31.
10Siehe hierzu: Kapellmann/Messerschmidt/von Rintelen, § 9 VOB/B Rn. 73.