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Rechtsanwälte unter einem Dach, vereinte Kompetenz in Augsburg und Umgebung.
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„BGH: Einzelgewerksvergabe kein Verbraucherbauvertrag“
Der VII. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil
vom 16.03.2023 entschieden, dass es sich bei
einem Vertrag über ein einzelnes Gewerk eines
Neubaus um keinen Verbraucherbauvertrag handelt.
Der Gerichtshof hat hiermit eine der am
kontroversesten diskutierten Rechtsfragen des
neuen Bauvertragsrechts entschieden. Den
vorliegenden Beitrag (1) beginnen wir mit einem
Problemaufriss, (2) gehen anschließend auf das
Urteil des BGH ein und (3) ordnen es
abschließend für Sie ein.
(1)
Problemaufriss
Die Legaldefinition
des Verbraucherbauvertrags findet sich in § 650i
I BGB:
„Verbraucherbauverträge sind
Verträge, durch die der Unternehmer von einem
Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes
oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem
bestehenden Gebäude verpflichtet wird.“
Liegt ein solcher Verbraucherbauvertrag vor,
knüpfen sich hieran die verbraucherschützenden
Rechtsfolgen der §§ 650i ff. BGB: Gem. § 650j
BGB ist der Unternehmer etwa verpflichtet, dem
Verbraucher eine Baubeschreibung zur Verfügung
zu stellen, die gem. § 650k BGB Vertragsinhalt
wird. Zudem steht dem Verbraucher gem. § 650l S.
1 Hs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zu.
Handelt es sich um Verträge über Bauleistungen
unterhalb der Schwelle des
Verbraucherbauvertrags, die mit einem
Verbraucher als Auftraggeber geschlossen werden,
bestehen verbraucherschützende Vorschriften in
Form der §§ 312 ff. BGB: Der Unternehmer hat dem
Verbraucher etwa vorvertragliche Informationen
zur Verfügung zu stellen. Zudem steht dem
Verbraucher gem. § 312g I BGB ein Widerrufsrecht
zu, wenn der Vertrag außerhalb von
Geschäftsräumen oder im Fernabsatz geschlossen
worden ist.
Für den Unternehmer als
Auftragnehmer ist entscheidend, ob die §§ 650i
ff. BGB oder die §§ 312 ff. BGB
verbraucherschützend eingreifen: Die jeweiligen
Vorschriften enthalten unterschiedliche
Unterrichtungs- und Belehrungspflichten. Das hat
bspw. zur Folge: Belehrt der Unternehmer den
Verbraucher etwa nach den Vorgaben der §§ 650i
ff. BGB über dessen Widerrufsrecht, obwohl
tatsächlich gar kein Verbraucherbauvertrag
vorliegt, ist die Widerrufsbelehrung nicht
ordnungsgemäß. Das kann zur Folge haben, dass
der Unternehmer vollständig leer ausgeht
und keine Vergütung für die bereits
erbrachten Leistungen erhält.1
Auch für den Verbraucher ist dies
entscheidend: Gem. § 650f VI 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB
besteht keine Pflicht zur Stellung einer
Bauhandwerkersicherheit, wenn der Besteller
Verbraucher ist und es sich um einen
Verbraucherbauvertrag handelt. Verweigert der
Verbraucher etwa die Stellung unter Berufung auf
§ 650f VI 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB, obwohl tatsächlich
gar kein Verbraucherbauvertrag vorliegt, kann
der Unternehmer u.U. wegen § 650f V 1 BGB den
Vertrag kündigen.
Teile der
Rechtsprechung2
und Literatur3
haben sich im Sinne größtmöglichen
Verbraucherschutzes für eine extensive Auslegung
des § 650i BGB ausgesprochen: Danach soll für
das Vorliegen eines Verbraucherbauvertrags
ausreichen, wenn die Beauftragung zeitgleich
oder in engem zeitlichem Zusammenhang mit der
Erstellung eines neuen Gebäudes erfolgt, die
Erstellung eines neuen Gebäudes für den
Unternehmer ersichtlich ist und die Gewerke zum
Bau des neuen Gebäudes selbst beitragen4.
Mit anderen Worten: Vergibt der Verbraucher im
Wege der Einzelgewerksvergabe, kann es sich u.U.
bei jedem einzelnen Vertrag um einen
Verbraucherbauvertrag handeln.
(2) Urteil des BGH
Der BGH hat dem
eine Absage erteilt und geurteilt, dass es sich
bei einem Vertrag über ein einzelnes Gewerk
eines Neubaus um keinen Verbraucherbauvertrag
handelt: Nach dem Wortlaut des § 650i I BGB
falle die Einzelgewerksvergabe nicht unter die
Norm. Ein Vergleich zu „oder eines Teils davon“
im zeitgleich in Kraft getretenen § 650a BGB
(Bauvertrag) zeige, dass der Gesetzgeber ganz
bewusst davon abgesehen habe. Dies unterstreiche
die Entstehungsgeschichte der Norm: Der deutsche
Gesetzgeber hat die Legaldefinition aus der
europäischen Verbraucherrechte-Richtlinie
entnommen, um die Europarechtskonformität in
jedem Fall zu gewährleisten. Daraus folge, dass
die Abweichung vom deutschen Gesetzgeber gewollt
war.
Das Argument des Verbraucherschutzes
weist der BGH ebenfalls zurück: Es handle sich
um eine rechtspolitische Erwägung, die keine
Umsetzung im Gesetz gefunden habe. Zudem sei sie
auch nicht mit eindeutigen Rechtsfolgen
belegbar, da die §§ 650i ff. BGB insgesamt nicht
ausschließlich umfassender und günstiger für den
Verbraucher seien. Im Übrigen gebiete es das
Gebot der Rechtsklarheit, dass der Unternehmer
erkennen könne, ob und welche Unterrichtungs-
und Belehrungspflichten ihn im Vorfeld des
Vertrags treffen.
(3) Einordnung
Das Urteil des BGH ist begrüßenswert, da es
Rechtssicherheit schafft: Unternehmer, die mit
einem Verbraucher Verträge über Bauleistungen im
Wege der Einzelgewerksvergabe schließen, können
nun rechtssicher beurteilen, welche
Unterrichtungs- und Belehrungspflichten sie
treffen. Umgekehrt besteht Rechtssicherheit für
Verbraucher, ob die Pflicht zur Stellung einer
Bauhandwerkersicherheit besteht. Das Urteil hat
zur Folge, dass die meisten Verträge über
Bauleistungen unterhalb der Schwelle des
Verbraucherbauvertrags liegen.
1Vgl. unseren Beitrag:
https://www.juraexperten.de/aktuelles-2021-12-verbraucherrecht-wertersatzpflicht-aus-paragarph-357-VIII-bgb.php.
2Bspw. OLG Hamm, Urteil vom
27.04.2021 – I-24 U 198/20 = NZBau 2021, 664
(670); OLG Zweibrü-cken, Urteil vom 29.03.2022 –
5 U 52/21 = ZfBR 2022, 568.
3Etwa BeckOK/Voit, § 650i BGB
Rn. 4; Messerschmidt/Voit/Lenkeit, II. Teil, §
650i BGB Rn. 23.
4So OLG Zweibrücken, Urteil vom
29.03.2022 – 5 U 52/21 = ZfBR 2022, 568 (569).